Radikal, kontrovers und umstritten: Marina Abramovic (* 1946 in Belgrad) ist eine der meistdiskutierten Künstlerinnen unserer Zeit. Sie ist berühmt für ihre Performances. Sie sucht die Grenzerfahrung und setzt dabei mitunter ihr Leben aufs Spiel. Die Überwindung von Schmerz, Angst und Scham sind die Kernthemen. Sie testet aus, wie weit sie physisch und psychisch gehen kann, was ihr Körper und das Publikum aushalten. Da muss man sich drauf einstellen, aber es lohnt sich die Ausstellung in Bonn zu besuchen.
Marina Abramovic. The Cleaner
Unter dem Titel "Marina Abramovic. The Cleaner" zeigt die Bundeskunsthalle Bonn aktuell bis zum 12. August 2018 eine große Retrospektive, die auf 50 Jahre Abramovic-Aktionen zurückblickt. Einige der Performances werden in Bonn zu bestimmten Zeiten von Aktionskünstlern wiederaufgeführt. Ich war letzte Woche dort und habe mich öfters mehr als gewundert, aber trotzdem ist es unvergleichlich intensiv und emotional. Sie sagt von sich: "Wenn ich etwas vollbringen will, gebe ich alles. Ich bin vorbereitet, ich bleibe dran, und es ist egal, wie viele Stunden es dauert oder wie unbequem es ist oder wie erschöpft ich bin."
Re-Performance Imponderabilia
Am Eingang des Museums der Galleria d'Arte Moderna Bologna standen Abramovic und ihr Partner Ulay sich 1977 zur Eröffnung nackt einander gegenüber, dergestalt, dass die Besucher sich einzeln durch die Lücke zwischen beiden hindurchdrängen mussten. Jede Person musste sich entscheiden, wen sie beim Durchgehen anschauen würde. Viele schauten geradeaus, um dem direkten Blick zu entgehen, sie zwängten sich mit Körperberührung durch oder versuchten, möglichst wenig an die nackte Haut der beiden zu stoßen. Abramovic/Ulay blickten sich über 90 Minuten unbewegt an, wie Statuen, die einen Eingang flankieren. Sie bilden hier einen körperlichen Rahmen und konfrontieren die unfreiwillig Beteiligten, während diese durch den "Geburtskanal" gehen, mit der Erfahrung von Berührung, Entscheidung, auf welche Seite sie sich drehen und setzen alle einem ungewöhnlichen (schamhaften) Körpergefühl aus. Der Leerraum zwischen den beiden Akteuren stellt den eigentlichen Performance-Raum dar, in dem der Zuschauer zum aktiven Performer wird. Diese Performance wird regelmäßig in der Bundeskunsthalle von wechselnden Darstellern wiederholt.
Foto: Ulay/Marina Abramović, Foto: Giovanna dal Magro, Courtesy of the Marina Abramović Archives, VG Bild-Kunst, Bonn 2018
The Lovers
Der Austausch von Energie wurde zu einem ihrer zentralen Interessen und ein Leitmotiv ihrer 12-jährigen Kunst- und Lebenspartnerschaft mit dem deutschen Künstler Ulay (Frank Uwe Laysiepen). Bei ihren gemeinsamen Auftritten rannten sie mit voller Wucht aufeinander zu und ließen ihre nackten Körper aneinanderklatschen (1976). Sie ohrfeigten sich, inhalierten den Atem des anderen oder schrien sich an, bis die Stimmen versagten (1978). Ihre letzte gemeinsame Aktion führte sie 1988 nach Asien. Für "The Lovers" liefen sie die komplette Chinesische Mauer entlang. Jeder startete an einem Ende und legte 2500 Kilometer zurück. In der Mitte trafen sie sich und beendeten dann ihre private und künstlerische Beziehung.
The Artist is Present
In der jüngeren Vergangenheit machte sie mit Langzeit-Performances auf sich aufmerksam. Ganz besonders fand ich ihre Aktion "The Artist Is Present" im New Yorker MoMA 2010. Es war mit 800.000 Besuchern die erfolgreichste Performance aller Zeiten. Drei Monate lang saß sie jeden Tag insgesamt 736 Stunden lang bewegungslos auf einem Stuhl und wechselte stumme Blicke mit Ausstellungsbesuchern, die nacheinander auf dem leeren Stuhl ihr gegenüber Platz nahmen. Im Interview sagte sie: "Zwei Stunden zu sitzen ist nichts. Aber fünf oder sechs Stunden, ohne irgendeine Bewegung, ist irrsinnig schwierig. Wenn Sie an diesen Punkt gelangen, an dem es unerträglich wird, und sich sagen, ich werde weitermachen, bis ich ohnmächtig werde, dann gibt der Körper auf, und Sie werden keinen Schmerz mehr empfinden. Viele der 1500 Menschen, die ihr in die Augen schauten, reagierten sehr emotional auf die Begegnung mit Abramovic. Nicht wenige weinten, vielleicht weil sie einsam und unglücklich sind. Sie versuchen das im Alltag zu überdecken. Aber wenn andere sie anschauen, gehen sie nach innen und finden ihre Trauer.
Eines Tages nahm Ulay ihr gegenüber Platz, die beiden blickten sich an und Marina Abramovic liefen die Tränen über das Gesicht. Sie reichte ihrem einstigen Lebenspartner die Hände. Es war ein sehr emotionaler Moment.
Vier Minuten in die Augen schauen
Vor 20 Jahren entdeckte der Psychologe Arthur Aron, dass 4 Minuten, in denen man sich einfach nur in die Augen schaut, Menschen näher bringen können. Mit dieser Entdeckung beschloss Amnesty Poland, ein Experiment durchzuführen, bei dem Flüchtlinge und Europäer sich gegenübersaßen und sich in die Augen sahen. Natürlich ist es am wichtigsten, einander Zeit zu geben, um sich gegenseitig besser zu verstehen und kennen zu lernen. Die Teilnehmer waren gewöhnliche Menschen. Die Situationen wurden nicht inszeniert; sie wollten natürliche, spontane Reaktionen bekommen. Die Menschen, die sich gegenübersaßen, hatten sich vorher nicht gekannt und sahen sich während des Experiments zum ersten Mal. Das kannst du auch ... Vier Minuten einem Menschen gegenüber in die Augen schauen. Ohne Worte - einfach nur schauen. Das ist eine gute Übung, um mehr Mitgefühl zu entwickeln.
An Artist’s life Manifesto by Marina Abramovic
Zum Abschluss noch das Marina Manifest. Ob das alles so ernst gemeint ist? Aber es ist trotzdem interessant zu lesen, wie sie tickt und wie sie es formuliert hat.
1. An artist’s conduct in his life:
An artist should not lie to himself or others
An artist should not compromise for themselves or in regards to the art market
An artist should not kill other human beings
An artist should not make himself into an idol
An artist should not make himself into an idol
An artist should not make himself into an idol
2. An artist’s relation to his love life:
An artist should avoid falling in love with another artist
An artist should avoid falling in love with another artist
An artist should avoid falling in love with another artist
3. An artist’s relation to the erotic:
An artist should develop an erotic point of view on the world
An artist should be erotic
An artist should be erotic
An artist should be erotic
4. An artist’s relation to suffering:
An artist should suffer
From the suffering comes the best work
Suffering brings transformation
Through the suffering an artist transcends their spirit
Through the suffering an artist transcends their spirit
Through the suffering an artist transcends their spirit
5. An artist’s relation to depression:
An artist should not be depressed
Depression is a disease and should be cured
Depression is not productive for an artist
Depression is not productive for an artist
Depression is not productive for an artist
6. An artist’s relation to suicide:
Suicide is a crime against life
An artist should not commit suicide
An artist should not commit suicide
An artist should not commit suicide
7. An artist’s relation to inspiration:
An artist should look deep inside themselves for inspiration
The deeper they look inside themselves, the more universal they become
The artist is universe
The artist is universe
The artist is universe
8. An artist’s relation to self-control:
The artist should not have self-control about his life
The artist should have total self-control about his work - The artist should not have self-control about his life
The artist should have total self-control about his work
9. An artist’s relation with transparency:
The artist should give and receive at the same time
Transparency means receptive
Transparency means to give
Transparency means to receive
Transparency mean receptive
Transparency means to give
Transparency means to receive
Transparency mean receptive
Transparency means to give
Transparency means to receive
10. An artist’s relation to symbols:
An artist creates his own symbols
Symbols are an artist’s language
The language must then be translated
Sometimes it is difficult to find the key
Sometimes it is difficult to find the key
Sometimes it is difficult to find the key
11. An artist’s relation to silence:
An artist has to understand silence
An artist has to create a space for silence to enter his work
Silence is like an island in the middle of a turbulent ocean
Silence is like an island in the middle of a turbulent ocean
Silence is like an island in the middle of a turbulent ocean
12. An artist’s relation to solitude:
An artist must make time for the long periods of solitude
Solitude is extremely important
Away from home
Away from the studio
Away from the family
Away from friends
An artist should stay for long periods of time at waterfalls
An artist should stay for long periods of time at exploding volcanoes
An artist should stay for long periods of time looking at the fast running rivers
An artist should stay for long periods of time looking at the horizon where the ocean and sky meet
An artist should stay for long periods of time looking at the stars in the night sky
13. An artist’s conduct in relation to work:
An artist should avoid going to the studio every day
An artist should not treat his work schedule as a bank employee does
An artist should explore life and work only when an idea comes to him in a dream or during the day
as a vision that arises as a surprise
An artist should not repeat himself
An artist should not overproduce
An artist should avoid his own art pollution
An artist should avoid his own art pollution
An artist should avoid his own art pollution
14. An artist’s possessions:
Buddhist monks advise that it is best to have nine possessions in their life:
1 robe for the summer
1 robe for the winter
1 pair of shoes
1 begging bowl for food 1 mosquito net
1 umbrella
1 mat to sleep on
1 pair of glasses if needed
An artist should decide for himself the minimum personal possessions they should have - An artist should have more and more of less and less
An artist should have more and more of less and less
An artist should have more and more of less and less
15. A list of an artist’s friends:
An artist should have friends that lift their spirits
An artist should have friends that lift their spirits
An artist should have friends that lift their spirits
16. A list of an artist’s enemies:
Enemies are very important
The Dalai Lama has said that it is easy to have compassion with friends but much more difficult to
have compassion with enemies
An artist has to learn to forgive
An artist has to learn to forgive
An artist has to learn to forgive
17. Different death scenarios:
An artist has to be aware of his own mortality
For an artist, it is only important how he lives his life but also how he dies
An artist should die consciously without fear
An artist should die consciously without fear
An artist should die consciously without fear
18. Different funeral scenarios:
An artist should give instructions before the funeral so that everything is done the way he wants it
The funeral is the artist’s last art piece before leaving
The funeral is the artist’s last art piece before leaving
The funeral is the artist’s last art piece before leaving